Memento Mori

Inhaltszusammenfassung:

Der Tod wird immer als Gerippe mit Sense dargestellt. Er „mäht“ praktisch die Zeit eines Menschen.
Nun ja, das mit der Sense stimmt schon, nur der Rest nicht …
Der Tod wird von der siebzehnjährigen Kotona versinnbildlicht, ein Mädchen, dass schwarze Haarspitzen und ansonsten weiße Haare hat. Blutrote Augen und braune Haut sind ihr Markenzeichen.
Keiner weiß, wer sie wirklich ist …
Aber wer würde auch schon den Tod auf anhieb erkennen?

~ Kapitel 1: Geliebte Geschwister I ~

Müde spielte sie mit einer Münze zwischen ihren Fingern. Kotona jobbte in einem Geschäft für allerlei Schnickschnack, wie sie es nannte: Medaillons, Steine mit Heilkräften, Ringe mit Symbolen, Schwertern mit Flüchen und Segen, Halsketten mit magischen Kräften, Figuren, die menschliche Seelen enthalten, Mittelalterklamotten, und so weiter.
Sie horchte auf und steckte schnell die Münze in ihre Hosentasche, als sie die Kundenglocke läuten hörte.
Herein kam ein Mädchen, die ungefähr in ihrem alter war. Groß, normal gebaut, brünett, schüchtern um sich blickend.
Schließlich entdeckte die Kundin Kotona am Tresen und kam auf sie zu.
„Um … Ich suche ein Medaillon gegen Albträume. Gibt es so etwas?“
Die junge Verkäuferin schaute ihr direkt in die grünen Augen.
Wie immer hatte sie eine Vision – das gehörte dazu, wenn man der Tod war und durch bloßen Augenkontakt den Tod eines anderen sah.
„Es ist für Ihre kleine Schwester, nicht wahr?“, fragte Kotona höflich, doch sie wusste, dass sie richtig lag.
Das Mädchen war verblüfft.
„J … Ja, stimmt genau. Woher wissen Sie …?“
„Ihre kleine Schwester hat angst, dass das alte Holzhaus, in welches Sie gezogen sind, abbrennt. Oder etwa nicht?“, der Tod schaute ihr ins Gesicht.
Die junge Frau wurde leichenblass.
Stumm und sprachlos nickte sie. Sie verstand nicht.
Woher wusste sie das? Konnte sie es überhaupt wissen?
Eigentlich nicht!
„Keine Angst, das gehört zu meinem Job.“, bemerkte Kotona trocken lächelnd, während sie ein Medaillon aus dem untersten Regalfach fischte. „Hier ist es.“
Die Kundin zahlte und eilte davon. War ja auch verständlich, wenn eine Fremde etwas sehr persönliches enthüllt.
Kotona seufzte.
„Glaub mir, Mädchen, es ist schlimmer, jemanden sterben zu sehen, als selbst zu sterben …“

Das Mädchen, welches bei der höchst seltsamen Verkäuferin eingekauft hatte, hieß Feu – Feuer.
Feu eilte nach Hause, wo sie ihre kleine Schwester essend vorfand.
„Na, meine süße Schnuckelmaus, wie geht es dir?“, fragte die ältere vergnügt, als sie sah, dass sich ihr kleiner Sonnenschein die ganze Schokolade des Pfannkuchens ins Gesicht geschmiert hatte.
„Sehr gut!“, strahlte sie zufrieden und streichelte über ihren vollen Bauch.
Hono war ihre über alles geliebte kleine Schwester. Heute würde sie einmal für sie Babysitter spielen, denn ihre Eltern waren am Abend ausgegangen.
Behutsam wischte sie die Schokoflecke mit einem Lappen aus Gesicht und Pulli.
„Du bist ein kleiner Stoffel.“, sagte Feu belustigt.
„Egal! Hauptsache, es hat geschmeckt!“, lachte Hono überglücklich und setzte hinzu: „Schaust du heute Abend mit mir Spongebob?“
„Aber natürlich, meine Kleine!“, antwortete die ältere Schwester und räumte den Tisch ab, „Kommt das nicht gleich?“
„Stimmt! Du hast recht!“, rief sie aus, „Ich schalt schon mal ein!“
„Mach das!“, pfiffelte Feu und stellte ihr Essen zum Aufwärmen in die Mikrowelle.
„Komm schnell, komm schnell! Es fängt an!“, juchzte Hono und ihre ältere Schwester, die ihr keinen Wunsch abschlagen konnte, kam brav angelaufen und setzte sich zu ihrer kleinen Maus dazu.
Sie lachten viel, bis Feu Rauchschwaden aus der Küche bemerkte.
Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Sie hatte die Mikrowelle vergessen!
Hastig sprang sie auf und flitzte in die Küche. Doch es war zu spät: Die Arbeitsplatte aus Holz hatte bereits Feuer gefangen und auch die ganzen hölzernen Regale standen in Flammen.
„Was ist denn los?“, wollte Hono wissen, aber Feu fauchte sie nur an: „Bleib weg! Geh hier raus!“
Erschrocken zuckte sie zurück, bewegte sich aber nicht vom Platz.
Feu, die dies nicht bemerkte, überlegte fieberhaft, wo der Feuerlöscher war. Mit Decken konnte man hier nicht mehr viel machen.
Ah, jetzt fiel es ihr wieder ein! Im obersten Regalfach!
Wagemutig machte sie die Schranktür auf und griff nach oben, nicht ohne die sengenden Temperaturen des Feuers zu spüren zu bekommen.
Noch ein kleines Stückchen …
Ah! Sie hatte den Feuerlöscher am Schlauch!
Feu zog daran; dann geschah das Unglück:
Das Regal kippte um, auf sie drauf.
Ihr Kopf schlug auf dem Parkett auf, dann wurde alles schwarz um sie herum …
Anscheinend innerhalb weniger Minuten erwachte sie wieder – das Feuer hatte nun auch auf die Wohnung übergegriffen, das Regal brannte lichterloh, ihre Haare waren versengt, alles war stickig, alles brannte – Küche, Möbel, Boden und – Decke.
Doch Hono stand immer noch da, auf ihre Schwester wartend, nicht begreifend, was geschieht.
„Lauf weg!“, brüllte Feu laut, damit ihre kleine Schwester sie hören konnte, „Lauf schnell weg!“
Die junge Frau zog und zerrte am Regal, welches auf ihr lag, versuchte es, wegzuschieben, doch alles vergebens. Es hatte keinen Zweck!
Feu geriet in Panik, als sie sah, dass ihr kleiner Sonnenschein sich immer noch nicht von der Stelle gerührt hatte.
Inzwischen konnte man kaum mehr atmen.
Dann fiel es der großen Schwester wie Schuppen von den Augen: Hono war vor Angst gelähmt!
„Bitte, lauf weg, bitte!“, flehte Feu sie an, „Du brauchst keine Angst zu haben! Geh! Ich komme gleich nach!“
Der letzte Satz war ein Fehler gewesen.
Hono lief auf sie zu und wimmerte:
„Du musst jetzt gleich mitkommen! Ich geh nicht ohne dich!“
Und mit ihren kleinen Patschehändchen versuchte sie, das brennende Regal zu entfernen.
Rauch und Panik trieben Feu Tränen in die Augen.
„Nein, geh schon vor, ich bin gleich da!“
„Versprochen?“
„Versprochen!“, antwortete Feu, aber sie war schon immer Realist gewesen: Sie war verloren. Inzwischen konnte sie ab der Hüfte abwärts ihren Körper vor lauter Schmerz nicht mehr spüren.
„OK.“, jammerte die Kleine und drehte sich zum Gehen um.
Doch auf halben Weg durch die Küche drehte sie noch einmal um.
Sie wollte ihrer geliebten großen Schwester noch ein Bussi geben und „Hab dich lieb“ sagen.
Dazu kam es allerdings nicht.
Ein brennender Balken krachte von der Decke und erschlug das arme, kleine Mädchen, das mehr als alles andere auf der Welt von der großen Schwester geliebt worden war.

Seufzend spielte Kotona mit der Münze herum. Plötzlich wurde ihr kurz schwarz vor den Augen.
„Der Tod hat dich geholt, meine Kleine.“, flüsterte sie gedankenverloren, „Du konntest dich nicht dagegen wehren. Es konnte nicht anders kommen.“
Gelangweilt warf sie die Münze in die Luft und fing sie wieder auf.
„Auch deine Schwester Feu ist tot – allerdings anders als du. Sie wird nie über deinen Verlust hinwegkommen und daran zugrunde gehen.“ Stille. „Und zwar schon sehr bald.“
In Kotonas Hand erschien eine kleine Sanduhr. Unachtsam warf sie sie zu Boden, wo sie sich vergrößerte, sodass sie etwas kleiner war wie die Verkäuferin.
Vorsichtig nahm sie die schwarze Sense hinter ihrem Rücken hervor und schnitt die Sanduhr entzwei.

„Deine Zeit ist abgelaufen, sprach der Tod“, murmelte Kotona,
„Ich bin der, der dir die Zeit nehmen kann.“

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